Wir hatten eine Art Eingewöhnungsphase nur für uns Austauschschüler in der Schule.
Ich wollte es lange nicht wahrhaben, dass meine Zeit in Kanada zu Ende gehen würde. Eigentlich wäre ich gern dort geblieben. Zum Glück ist meine Mutter einige Tage vor Ende meiner Highschool-Zeit aus Deutschland gekommen – um mir meinen Abschied zu erleichtern, um meine Gastfamilie, meine Freunde, meine Schule und meine Umgebung kennenzulernen und noch zwei nette Wochen mit mir vor Ort verbringen zu können. Meine Host-Eltern waren so lieb, mich zum Flughafen zu fahren, um meine Mutter zu empfangen. Nach dem schönen und tränenreichen Wiedersehen fuhren wir dann mit einem Mietwagen zu unserer Unterkunft, die meine Mutter für ihren Aufenthalt in Kelowna bei einer schrullig-netten älteren Dame angemietet hatte. In den ersten Tagen habe ich mich dort nicht so wohlgefühlt, weil ich meine Gasteltern irgendwie schrecklich vermisst habe…
Durch die vielen verschiedenen Aktivitäten und Unternehmungen war die Ablenkung vom bevorstehenden Abschied glücklicherweise groß. Natürlich haben wir jedes Deutschland-Spiel der Fußball-EM in einer Sportsbar verfolgt! In der letzten Schulwoche gab es mit meinem Lieblingskurs Outdoor Ed(ucation) noch einen superschönen Campingausflug zum Lake Country. Außerdem haben wir meine Kusine aus Deutschland getroffen, die ein Auslandsjahr in Vancouver verbracht hat und nun mit ihrer Familie im Wohnmobil durch British Columbia auch in Kelowna vorbeigeschneit ist.
Am letzten Schultag habe ich mein Zeugnis abgeholt und meiner Mutter stolz „meine“ High-School gezeigt. Sie war sehr beeindruckt davon, dass jeder Fachlehrer über einen eigenen gut ausgestatteten Raum verfügt, d.h. nicht der Lehrer kommt in den Klassenraum zu den Schülern, sondern die Schüler finden sich beim Fachlehrer ein. Mein Zeugnis? Das war auch gar nicht so übel.
Als wir im Myra-Canyon-Park Fahrräder für eine Tour mieten wollten, fiel meiner Mutter auf, dass ihre Kreditkarte fehlte. Ich (Blödmann) hatte sie wohl beim Minigolf tags zuvor liegenlassen. Natürlich habe ich sofort im Minigolf-Park angerufen, um mich danach zu erkundigen. Und tatsächlich: Die Kreditkarte war an der Kasse abgegeben worden. Die Kanadier sind wahrhaftig die freundlichsten und ehrlichsten Menschen, die ich kenne! Die Radtour haben wir natürlich trotzdem gemacht: mega beeindruckend die alte Bahntrasse von 2 x 12 Kilometern mit Tunneln und Holzbrücken auf 1200 Höhenmetern!
In Kanada habe ich nicht nur meine erste große Liebe gefunden, sondern auch meine Leidenschaft für das Golfspiel. In und um Kelowna gibt es über 20 Golfplätze! Bei einer Partie Golf mit meiner Freundin, ihrem Vater und meiner Mutter schafften wir wegen plötzlichen Starkregens zwar nicht alle 18 Löcher, aber beim letzten Loch gelang mir zum ersten Mal ein Birdie!
Nun war da noch „the stool“ – ein Hocker mit ausklappbaren Stufen, also genau genommen ein „Tritt“, 24 inch hoch, 15 inch breit. Ich habe ihn im Fach „Woodwork“ mit eingeflämmtem Schullogo und großer Sorgfalt gefertigt. Den wollte ich auf keinen Fall in Kanada lassen! Also haben wir einen Karton und Verpackungsmaterial besorgt und wollten ihn nach Deutschland verschicken. Dazu musste man am FedEx-Schalter zuerst alle Formalien angeben, die eine anfangs gelangweilte Dame in ihren Rechner eingegeben hat. Nach und nach fieberte auch sie mit, für welchen Preis dieses Riesenpaket denn nun verschifft werden würde. Und am Ende erschien folgender Betrag auf dem Bildschirm: 1524,00 kanadische Dollar!!! Der Stuhl hat schon persönlichen Wert – aber so viel?!? Also bedankten wir uns für die Mühe, zogen ab und machten uns auf die Suche nach einem passenden Koffer. Nachdem wir in zwei Second-Hand-Läden erfolglos waren (wir haben den Tritt sogar mit in die Läden genommen!), sind wir zu dem Mega-Baumarkt und -Freizeitausstatter „Canadian Tire“ gefahren (neuer Lieblingsstore meiner Mutter!). Dort sind wir tatsächlich fündig geworden: Eine stabile Hockeytasche hatte exakt die passenden Maße! Für umgerechnet 37 Euro gekauft!
Die letzten zwei Tage vor unserem Abflug haben wir bei meinen Gasteltern übernachtet, um meine Klamotten zu packen und noch Zeit mit Wendy und Marc verbringen zu können. Ein bisschen peinlich war es mir schon, als meine Mutter zu den beiden sagte, ich sei ein „lucky mushroom“ (Glückpilz), weil ich mit allen Lehrern, Trainern und anderen Weggefährten bisher immer so viel Glück im Leben gehabt hätte – und so auch mit ihnen. Aber sie hat ja recht: Wendy und Marc sind wirklich die besten Gasteltern, die man sich nur vorstellen kann! Der Abschied am Abflugtag war unfassbar hart, aber auch unglaublich herzlich. Sie haben mich fest in ihre Arme geschlossen und mir angeboten, dass ich jederzeit wiederkommen könnte. Das werde ich definitiv!
Am Schalter bei der Gepäckaufgabe waren wir erleichtert, dass der „Tritt“ (the stool) einfach als großer Koffer durchgewunken wurde. Gut, dass meine Mutter auf dem Hinweg nur ein Handgepäckstück dabeihatte – so hatte auf dem Rückflug jeder von uns einen großen Koffer plus Handgepäck.
Den Abschied von meiner Freundin konnte ich nur ertragen, weil ich wusste, dass ich sie schon in den Herbst- und Weihnachtsferien wiedersehen würde. Wir haben so geweint, dass sogar unsere Mütter sich heulend in den Armen lagen, weil unser Schmerz auch ihnen so naheging.
Auf dem ersten Kurzflug in einer Express-Kleinmaschine von Kelowna nach Vancouver hatten wir eine wolkenlose Sicht auf atemberaubende Landschaft mit bewaldeten Hügeln, schneebedeckten Berggipfeln und azurblauen Bergseen. Der Umstieg in Vancouver auf einen Dreamliner (Boeing 787) verlief reibungslos. Und wer stand wohl beim Boarding hinter uns in der Schlange? Klar, meine Kusine mit Family!
Ob ich mich auf die Sommerferien in Deutschland freue? Klar, weil ich meine Freunde und Familie wiedersehe und tolle Sachen vorhabe… Aber eigentlich fühlt es sich an, als hätte erst gerade 10 Monate Ferien gehabt!
Willst du auch fettes Ferienfeeling, neue Freunde, eine zweite Familie und einen fabelhaften „Tritt“ fürs Leben, dann melde dich bei Kulturwerke Deutschland!